Ein Abenteuer



Sie sagte, sie sei solo und sie sah mir ins Gesicht.
Wir standen am Buffet und aßen Reste.
Ich sagte: "Nun, die andern hier sind's offensichtlich nicht!"
und wies auf all die streng gepaarten Gäste.

"Beziehung", sagte ich, "ist wie 'ne langweilige Feier,
und sowas kommt für mich nicht in Betracht!
Doch eins könnt ich mir vorstelln heute Nacht:
Ein Abenteuer!"

Das schien in ihrem Sinne, und sie wohnte auch nicht weit –
So stahlen wir uns fort in aller Stille.
Die Straßen schwül und düster, doch ein Taxi stand bereit,
Darinnen ein Chauffeur mit dunkler Brille.

Sie flüsterte erregt und zeigte auf den Mann am Steuer:
"Was immer der dahinter auch versteckt:
Wer so aussieht, der fährt uns wohl direkt
ins Abenteuer!"

Der schnellste Weg zu ihr verlief durch Viertel, nie geseh'n,
die Straßen wurden schmal, die Gossen breiter.
Beim Anblick eines Autowracks, da blieb der Fahrer steh'n
und hustete: "Bis hierher und nicht weiter!"

Reifen quietschten, Taxi floh – mir war es nicht geheuer!
Sie nahm mich bei der Hand und ging voran.
Sie fand, es fange vielversprechend an,
das Abenteuer!

Eingeschlag'nes Glas, dahinter Schilder: "Zum Verkauf";
es stank, daß selbst die Ratten schier verstummten.
Kein Mensch hielt sich um diese Zeit wohl freiwillig hier auf,
abgesehn von einigen vermummten.

Sie rief: "Als Kind ging ich mit Enid Blyton in die Heia,
völlig abenteuer-geil, und nun geschieht's!
Wie aufregend! Für mich ist dies der Kiez
der Abenteuer"!

Sie redete noch mehr, von Terroristen und Komplott,
und plötzlich stand da einer und schrie: "Packt sie!"
Es war wohl an der Zeit, hier zu verschwinden, und zwar flott,
doch diesmal gab es weit und breit kein Taxi.

Sie sprach: "Die nächste U-Bahn liegt gleich hinter dem Gemäuer!"
und seufzte, nicht vor Angst, doch vor Begier,
und stürmte, mich im Schlepptau, durch die Tür
ins Abenteuer.

Durch Flur und Innenhöfe, dicht verfolgt von etwa acht,
doch ach! Das Tor zur Straße war verschlossen!
Ich stöhnte laut: "Oh nein!", doch sie befahl nur: "Los, auf's Dach!"
Es knallte und ich ahnte, daß sie schossen.

Wir stolperten die Treppen rauf, ich roch Benzin und Feuer
im Dachgestühl, da atmete ich schwer –
Sie witterte den prickelnden Odeur
von Abenteuer.

Wir krochen aus der Luke zwischen Giebel und Kamin
und rannten, denn ich mochte dieses Haus nicht.
Sie schwärmte: "Um uns Sommernacht und unter uns Berlin!"
Mir fehlte grad der Sinn für schöne Aussicht.

Ich sprach, daß wer uns kriege garantiert uns eine scheuer.
Sie fasste meinen Arm und sagte: "Du,
ein wenig Mumm gehört nun mal dazu,
zum Abenteuer!"

Zuerst waren es Punkte, doch sie kamen schnell heran.
Ihr Knattern ließ mich laut "Schau mal, da vorn!" schrein.
Drei schwarze Helikopter setzten nun zur Landung an.
Wir suchten eine Deckung hinterm Schornstein.

Ich fragte: "Sind das Jäger oder unsere Befreier?"
Sie spannte sich zum Sprung und knurrte nur:
"Ne Rettung nach acht Strophen wär' ein kur-
zes Abenteuer!"

"Bist du schon mal geflogen?", fragte ich, sie sagte: "Nein!",
doch leider saßen wir da schon im Cockpit,
gewillt, uns auf dem Luftweg aus der Falle zu befrei'n,
solange der Pilot noch an dem Schock litt.

Von draußen brüllte einer: "Lasst ihn steh'n! Das ist nicht euer!",
Da plötzlich riss es uns ein Stück voran!
Sie schrie entzückt und staunte mich groß an:
Ich saß am Steuer.

Wir wirbelten umher, dann fand ich raus, womit man lenkt
und wählte mir den Fernsehturm zum Ziele
Sie meinte: "Abgehauen heißt noch lang nicht abgehängt!
Zuerst war es nur einer, nun ganz viele!"

Ich antwortete: "Frau, du redest schlau, doch wär' es schläuer,
du sagst mir, wie die Landung funktioniert.
Denn wenn das Ding kaputt geht, ja, dann wird
der Abend teuer!"

Das schreckte sie nicht sehr, sie hatte eh 'nen andern Plan –
'ne Bruchlandung erschien mir attraktiver!
Doch hinter uns, da hörten wir Rotorgeknatter nahn.
Wir war'n über der Spree und ich ging tiefer.

Sie sagte: "Nach der Biegung! Keiner wird sowas vermuten!"
Ich riss das Steuer hoch, gab nochmals Gas,
und seitlich warf sich jeder, wie er saß,
raus in die Fluten.

Der Sturz war weich, die Spree war mild. Bald hörten wir den Knall,
mit dem ein leerer Hubschrauber zu Bruch geht.
Wir trieben ungesehen, trotz Verfolgern überall,
zum Hauptbahnhof, vielleicht war das ein Fluchtweg.

Wir spähten übers Ufer bei dem Ruderboot-Verleiher
und sahen jetzt den lichterlohen Brand,
wo vorher noch das Kanzleramt stand –
Auweia!

Es schien uns beiden ratsam, daß wir diese Stadt sofort
verließen und die nächsten Wochen mieden.
Der Bahnhof war dafür ja der geeigneteste Ort:
Wir erwischten einen Nachtzug Richtung Süden.

Es war in Kenia, so zwischen Weihnachten und Neujahr,
als keiner sich der Sache mehr besann.
Die Heimatpresse schrieb längst über an-
d're Abenteuer.

Ich redete von Heimkehr, sie lag in der Hängematte
und griff ganz überraschend meine Hände.
Sie fragte schelmisch, ob sie mich wohl falsch verstanden hatte
auf der Feier einst – und wie ich dies empfände.

Ich sagte ihr: "Du kennst mich nun, kennst meine Paranoia
und weißt, ich bin eher ängstlicher Natur.
Nimm mich, gerne ganz, erspar mir nur
die Abenteuer!"




(Holger Saarmann)

© by Holger Saarmann, September 2013







Begonnen 2006, beseelt von der Idee, nach der "Ballade des armen Webersohnes Karl May" eine weitere Action-Ballade zu dichten, die näher an meinem eigenen Leben dran ist.
Ein Berliner Freund kommentierte das 2/3-fertige Werk mit den Worten: "Man merkt, daß du immer noch nicht richtig in Berlin angekommen bist." – Ich sah keinen Grund zum Widerspruch.
Nach dem Sprechvortrag des Fragments im Rahmen einer Liederwerkstatt bekundete kein Kollege Interesse, den Fortgang der Geschichte zu erfahren. Das traf sich gut, ich wusste ohnehin gerade nicht, wohin meine Helden mit dem geborgten Helikopter fliegen sollten.

Aber ich mag nun mal keine unfertigen Texte, und dieser hat ja auch durchaus seine Freunde. Johanna Moll fragte über Jahre immer wieder, ob und wie denn nun mein "Abenteuer" ausgehe. Dank dem Plädoyer Masha Potempas hat es ein Happy End: Die beiden Abenteurer kriegen sich!

Alternatives Ende:
Bedauernd sprach ich: "Selbst wenn ich zuinnerst mich erneuer'
und Nervenkitzel regelmäßig üb',
so bin ich letztlich doch wohl nicht der Typ
für'n Abenteuer!"

Text fertiggestellt auf Burg Waldeck, September 2013.








                                       




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